Deutscher Einzelhandelsinvestmentmarkt entwickelt sich mit zwei Geschwindigkeiten
- Nach ruhigem Abschlussquartal schließt Gesamtjahr mit Transaktionsvolumen von 8,1 Milliarden Euro
- Allzeithoch bei lebensmittelgeankerten Fachmärkten und Fachmarktzentren kann Rückgang von großvolumigen Highstreet-Objekten und Einkaufszentren nicht ausgleichen
- Divergierende Renditeentwicklung spiegelt Zweiteilung des Marktgeschehens wider
- Gestiegenes Sicherheitsbedürfnis bei Investoren und Kaufopportunitäten im Core-Bereich werden auch 2022 Marktentwicklung beeinflussen
München, 7. Januar 2022 – Nach Angaben von Colliers endete das Jahr 2021 am deutschen Investmentmarkt für Einzelhandelsimmobilien mit einem enttäuschenden Ergebnis im einstelligen Milliarden-Euro-Bereich. Von den 8,1 Milliarden Euro Transaktionsvolumen entfielen 1,8 Milliarden Euro auf das vierte Quartal, was den schwächsten Jahresabschluss der Dekade und eine Halbierung des Ergebnisses aus dem umsatzstarken dritten Quartal darstellt. Der zehnjährige Durchschnitt von 10,2 Milliarden Euro wurde um 21 Prozent verfehlt. Wegen der besonders dynamischen Entwicklung der Assetklassen Büro sowie Industrie und Logistik im Jahresverlauf fanden sich Einzelhandelsobjekte auf Rang 3 statt auf dem angestammten Platz 2 der Beliebtheitsskala von Investoren wieder. Der Marktanteil sank auf 13 Prozent und damit einen historischen Tiefstand.
Aggregierte Zahlen verdecken stark divergierende Entwicklungstrends
Matthias Leube, CEO bei Colliers: „Die aggregierten Zahlen verdecken allerdings, dass sich der deutsche Einzelhandelsinvestmentmarkt mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickelt – ganz so, wie es auch die zugrundeliegende Branchenentwicklung vorzeichnet.“ Gemäß den aktuellsten Schätzungen des Statistischen Bundesamtes verteilt sich der Rekordeinzelhandelsumsatz von 2021 und der reale Zuwachs von 0,9 Prozent gegenüber dem bislang umsatzstärksten Jahr 2020 äußert ungleichmäßig. Gewinner sind der Handel mit Lebensmitteln und Drogeriebedarf sowie das Online-Geschäft, Verlierer sind vor allem der stationäre Handel mit Textilien, Bekleidung und Schuhe, der auch schon vor der Pandemie unter der Ausbreitung des E-Commerce am stärksten litt. Leube weiter: „Wie am gesamten Investmentmarkt hat das Sicherheitsbedürfnis der Investoren stark zugenommen. Neben der Objektqualität werden vor allem die Mietvertragsverhältnisse bei Ankauf genauestens geprüft. Die Bonität des Mieters, Umsatzentwicklung und Länge der Vertragslaufzeiten sind ausschlaggebendes Kaufargument. Der Fokus auf Core-Produkte war 2021 ausgeprägter denn je, wobei diese im Bürosegment vor allem Objekte in besten und guten Lagen der großen Investmentzentren umfassen. Im Einzelhandelssegment sind es hingegen über ganz Deutschland verbreitete Fachmärkte und Fachmarktzentren, bei denen als weiteres Selektionskriterium der Lebensmittelanker steht. Großvolumigen Highstreet-Objekten oder Einkaufszentren stehen Investoren in der aktuellen Situation sehr kritisch gegenüber.“
Dirk Hoenig-Ohnsorg, Head of Retail Investment bei Colliers, führt weiter aus: „Die Transaktionszahlen 2021 spiegeln diese Entwicklung eindrücklich wider. Unter den drei übergeordneten Betriebstypenkategorien – innerstädtische Geschäfts- und Warenhäuser, Shoppingcenter sowie Fachmärkte bzw. Fachmarktzentren – bauten letztere ihre dominierende Marktposition im Jahresverlauf auf 65 Prozent aus. Von diesen 5,3 Milliarden Euro entfallen drei Viertel – also über 4 Milliarden Euro – auf lebensmittelgeankerte Objekte. Diese Summe entspricht genau der Hälfte aller Einzelhandelsinvestments des vergangenen Jahres. Gegenüber dem Fünfjahresdurchschnittswert ist dies eine Zunahme von über 60 Prozent. Wie attraktiv und krisensicher der deutsche Lebensmittelsektor mittlerweile auch von ausländischen Investoren gesehen wird, zeigt der Markteintritt des portugiesischen Investors Sonae Sierra, der für seinen neu aufgelegten Spezialfonds Sierra German Food Retail Income Fonds I fünf Supermärkte als Startportfolio kaufte. Ebenfalls im vierten Quartal wurde die Beteiligung des neuseeländischen Staatsfonds New Zealand Superannuation Fund an drei Deutschlandfonds des kanadischen Investors Slate bekannt.
Absolut betrachtet reicht das dynamische Wachstum des Handels mit Nahversorgern nicht aus, um ausgebliebene Verkäufe anderer Betriebstypen zu kompensieren. So standen im Vorjahresvergleich einem Plus von 260 Millionen Euro beim Verkauf von Immobilien mit Nahversorgungsankern ein Minus von 3.600 Millionen Euro beim Verkauf von Non-Food-Retailassets gegenüber.
Einkaufszentren verfehlten den Vorjahreswert um gut ein Drittel und vereinten mit 1,1 Milliarden Euro gerade einmal 13 Prozent des Volumens von Retailobjekten auf sich. Geschäftshäuser, deren Umsatzvolumen sich im zweiten Jahr der Pandemie auf 1,7 Milliarden Euro mehr als halbierte, halten einen Marktanteil von 21 Prozent.
Zahl der Großdeals signifikant gesunken
Insgesamt war das Ausbleiben von Großdeals über 250 Millionen Euro maßgeblich für den Rückgang des Transkationsvolumens. Wurden in dieser Größenklasse 2020 noch 10 Deals mit einer Gesamtsumme von 5,8 Milliarden Euro gezählt, waren es 2021 gerade einmal vier mit rund 2 Milliarden Euro. Ausländisches Kapital, das vor allem bei größeren Anlagesummen aktiv ist, ist mit 29 Prozent weiter deutlich unterrepräsentiert.
Paketverkäufe, die für die Assetklasse Einzelhandel eine deutlich größere Rolle spielen als für das Transaktionsgeschehen am Gesamtinvestmentmarkt, reduzierten sich spürbar. Nach 67 Prozent 2020 sank der Marktanteil auf 46 Prozent. Das Transaktionsvolumen halbierte sich, die Anzahl der Abschlüsse sank um ein Drittel, die Durchschnittsgröße von Einzelhandelsportfolios fiel von 126 auf unter 100 Millionen Euro. Hoenig-Ohnsorg: „Limitierte Produktverfügbarkeit und erhöhter Prüfaufwand stellen gerade aktuell eine größere Hürde als bei Einzeldeals dar, weshalb sich Abschlüsse auch immer wieder hinauszögern. Die drei größten Abschlüsse des Jahres aus dem dritten Quartal – das SB-Warenhausportfolio mit 34 revitalisierten Real-Märkten, das 12 Fachmarktzentren umfassende Touchdown-Portfolio sowie das Supermarktportfolio Powerbowl – zeigen aber auch, das Portfolios mit krisensicheren Ankermietern als absolutes Core-Produkt weiter hoch begehrt sind.
Zweiteilung des Marktgeschehens spielt sich in Renditeentwicklung wider
Soweit sich angesichts der wenigen Verkaufsfälle bei Einkaufszentren und im Highstreet-Segment überhaupt Preisentwicklungen ableiten lassen, ist von tendenziell steigenden Renditen auszugehen. Bruttoanfangsrendite für Objekte in 1a-Lagen der sieben großen Investmentzentren bewegen sich in einer Spanne von 2,80 Prozent in Frankfurt und 3,40 Prozent in Düsseldorf, Köln und Hamburg. Trotz voranschreitender Renditekompression erbringen vor allem Fachmärkte und Fachmarktzentren mit Lebensmittelschwerpunkt mit Bruttospitzenrenditen um die 4 Prozent eine weiterhin attraktive Rendite, die nur von deutlich risikoreicheren Investments wie Büros in B- und C-Städten oder Shopping Centern in der Höhe übertroffen werden. Hoenig-Ohnsorg: „Die Kompression von rund 50 Basispunkten bei Nahversorgungsinvestments im Jahresverlauf könnte 2022 die Verkaufsentscheidung von Bestandshaltern erleichtern und zu einer Dynamisierung des Angebots führen.“
Offene Immobilien- und Spezialfonds bleiben dominierende Käufergruppe
Das Marktgeschehen wurde auf Käuferseite überwiegend von zwei gleichstarken Investorengruppen dominiert: Asset- und Fondmanager wie auch die offenen Immobilien- und Spezialfonds platzierten jeweils ein Anlagevolumen von 1,7 Milliarden Euro, das einem Marktanteil von 21 Prozent entspricht. Bei den Verkäufern belegen Asset- und Fondsmanager zusammen mit Opportunity Fonds/Private Equity die Spitzenplätze (jeweils 1,5 Milliarden Euro, 18 Prozent Marktanteil) vor Projektentwicklern (1,2 Milliarden Euro, 15 Prozent).
Ausblick: Jahresergebnis stark opportunitätsgetrieben
Hoenig-Ohnsorg: „Eine höhere Durchimpfung der Bevölkerung und die von Virologen gestützte Aussicht, dass weitere Corona-Mutanten mildere Krankheitsbilder hervorrufen als bestehende Varianten, nähert die Hoffnung, dass sich die Situation des stationären Einzelhandels mit weniger pandemiebedingten Einschränkungen im laufenden Jahr bessert. Dass Investoren auf solche Signale schnell reagieren, hat der seit Einsetzen der Impfkampagne im Januar 2021 gestiegene Handelsimmobilienklimaindex eindrucksvoll gezeigt. Da der Fokus kurzfristig weiter verstärkt auf das Nahversorger-Fachmarktsegment Bestand haben wird, ist dessen Produktverfügbarkeit der wesentliche Faktor für das Wiedererreichen der 10-Milliarden-Euro-Marke in 2022.“
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