Berliner Investmentmarkt verhält sich trotz gut gefüllter Dealpipeline abwartend

  • 4,1 Mrd. Euro gewerbliches Transaktionsvolumen in H1 2022
  • Bau- und Finanzierungskosten sowie Inflation bestimmen Marktgeschehen
  • Core-Assets und Forward-Deals verstärkt von Repricing getroffen,Value-Add weiterhin stark nachgefragt
  • Trendwende bei Renditeentwicklung – Preisfindung dauert weiter an
  • Ausblick 2022: Lebhafteres Transaktionsgeschehen nach dem Sommer mit intensiven Verhandlungen erwartet

Berlin, 6. Juli 2022 – Nach Angaben von Colliers wurden im ersten Halbjahr 2022 auf dem Berliner Investmentmarkt Gewerbeimmobilien für 4,1 Mrd. Euro gehandelt. Der Wert liegt mit drei Prozent leicht unter dem Vorjahr, das fünfjährige Mittel konnte jedoch um sieben Prozent übertroffen werden. Das Ergebnis überdeckt allerdings die deutlichen Bremsspuren, die der Markt im zweiten Quartal verzeichnete. Nur knapp 1,8 Mrd. Euro wurden in den vergangenen drei Monaten registriert – nur die beiden Lockdown-Quartale 2020/2021 verbuchten ein niedrigeres Abschlussvolumen.

Ulf Buhlemann FRICS, Head of Capital Markets bei Colliers in Berlin: „Das veränderte Umfeld aus deutlich gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten bei einer gleichzeitig rasanten Inflationsentwicklung hat auch am stark nachgefragten Berliner Markt Spuren hinterlassen. Wir sind mit einer Dealpipeline auf Rekordniveau in das Quartal gestartet – allerdings wurden sehr wenige von diesen Transaktionen bislang abgeschlossen. Stattdessen ziehen sich zahlreiche Prozesse in die Länge oder werden gleich ganz verschoben, da sich die Kaufpreiserwartungen auf Verkäufer- und Käuferseite teils deutlich unterscheiden. Wir beobachten Preisabschläge in allen Nutzungssegmenten, wobei Core-Assets am stärksten betroffen sind, während Value Add-Produkte im Vergleich stärker nachgefragt werden.“

Länger vorbereitete Büro- und Grundstücksdeals dominieren Marktgeschehen
Die im zweiten Quartal abgeschlossenen Transaktionen wurden überwiegend bereits länger vor dem Marktumschwung vorbereitet. Büroimmobilien standen ganz oben auf der Einkaufsliste der Investoren. Ihr Wert belief sich auf 2,3 Mrd. Euro und einen Marktanteil von 57 Prozent. Auf Platz 2 summierten sich zahlreiche Grundstückstransaktionen auf über 600 Mio. Euro im ersten Halbjahr und untermauern das nachhaltige Vertrauen von Investoren in die Wachstumsperspektiven des Berliner Marktes. Besonders gut angebundene Lagen überzeugen die Investoren – so sicherte sich Edge mit der Allianz und der BVK das „Wriezener Karree“ am Ostbahnhof von der TLG.

Damit liegen Grundstücke zum wiederholten Male knapp vor Einzelhandelsimmobilien, die mit rund 550 Mio. Euro die Top 3 komplettieren. Mixed-Use-Immobilien trugen weitere 350 Mio. Euro bei, während Hotels im Wert von rund 160 Mio. Euro den Besitzer wechselten. Der Hotel-Konversionsschub im Nachgang zur Corona-Pandemie ist noch nicht beendet, weitere Transaktionen verzögern sich jedoch aufgrund der Marktunsicherheiten.

Portfolien weiter begrenzt, mehrere großvolumige Einzeltransaktionen
Die Übernahme der alstria Office REIT AG durch den kanadischen Assetmanager Brookfield aus dem ersten Quartal, zu der auch zwölf Berliner Bürogebäude gehören, stellt weiterhin die größte Portfoliotransaktion dar. Darüber hinaus erwarb Westbrook ein Portfolio von acht Wohn- und Geschäftshäusern in Berlin und Potsdam. Das Transaktionsvolumen von Portfolien blieb dennoch auf rund 620 Mio. Euro sowie 15 Prozent begrenzt.

Einzeltransaktionen stellen mit 3,5 Mrd. Euro den Löwenanteil des Transaktionsvolumens. Mit dem 50-Prozent-Verkauf des Sony Centers, das die kanadischen Investoren Oxford und Madison Real Estate an den norwegischen Staatsfonds Norges für 677 Mio. Euro veräußerten, stellte Berlin sogar den größten deutschlandweiten Einzelverkauf des Quartals. Weitere Großtransaktionen waren das „Rosi“ am Hackeschen Markt, das an die BVK ging, zudem sicherte sich Tishman Speyer das „Quartier 207“ an der Friedrichstraße.

Die Vollbremsung im Core-Segment belegt auch ein Blick auf die Risikoklassen: Core Plus-Investments setzten sich mit 27,4 Prozent Marktanteil und 1,1 Mrd. Euro Volumen an die Spitze, während Core-Assets sich mit 26,6 Prozent knapp dahinter einreihten. Im zweiten Quartal wurden lediglich rund 170 Mio. Euro in Core-Objekte investiert, hier gestalten sich die Verkaufsprozesse als besonders herausfordernd.

Es folgen risikoreichere Opportunistic-Deals mit 23 Prozent sowie Value-Add-Investments mit 20 Prozent Marktanteil. In diesen Segmenten achten Käufer insbesondere auf die gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten, zudem sind Zeitpläne und Mietpreise bei Projekten schwer kalkulierbar. Wachstumsstarke Mikrolagen mit guter Erreichbarkeit liegen deshalb umso mehr im Fokus.

Trendwende bei Renditeentwicklung – Preisfindung dauert weiter an
Die jahrelange Renditekompression ist zu einem abrupten Stillstand gekommen. Die gestiegen Finanzierungskosten treffen vor allem die Core-Produkte mit ihren historisch niedrigen Spitzenrenditen. Die Preisfindung im Markt ist noch in vollem Gange, sodass mangels abgeschlossener Kauffälle bezüglich der Abschläge kaum eine verlässliche Größenordnung genannt werden kann. Aufgrund der fehlenden Evidenz ist lediglich anhand laufender Prozesse eine grobe Ableitung möglich, die bis zum tatsächlichen Abschluss noch angepasst werden kann.

Die Bruttospitzenrendite für Büros ist von 2,60 Prozent im Vorquartal auf 2,80 Prozent angestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies einen Anstieg um 10 Basispunkte. Für Stadtteillagen sowie die Peripherie haben die Renditen auf 3,20 Prozent bzw. 3,80 Prozent etwas stärker angezogen.

Anstiege sind auch in den weiteren Assetklassen zu beobachten: Während Handelsimmobilien bei 3,30 Prozent notieren (Vorquartal: 3,10 Prozent), ging es für Industrie- und Logistikobjekte um 25 Basispunkte auf 3,35 Prozent nach oben. Hotels liegen bei 4,50 Prozent (+10 Basispunkte).

Innenstadtlagen sowie Grundstücke außerhalb der Ringbahn bleiben gefragt
Die Teilmärkte innerhalb des S-Bahn-Rings erwiesen sich mit über 3,4 Mrd. Euro Transaktionsvolumen und einem Anteil von 83 Prozent weiterhin als gefragteste Lagen, davon entfallen allein 1,5 Mrd. Euro auf die CBD-Lagen. Umsatzstärkster Teilmarkt ist jedoch die City Ost mit rund 800 Mio. Euro. Großtransaktionen hier waren neben dem „Wriezener Karree“ und dem „Rosi“ der Ritterhof in Kreuzberg. In peripheren Lagen außerhalb der Ringbahn wurden 700 Mio. Euro investiert. Hier waren insbesondere Grundstücke für Projektentwicklungen gefragt.

Internationale Käufer so stark vertreten wie seit drei Jahren nicht mehr
Nachdem ausländisches Kapital sich vor allem vergangenes Jahr zurückhaltender zeigte, kauften internationale Investoren im ersten Halbjahr 2022 für über 2,2 Mrd. Euro ein, was einem Marktanteil von 54 Prozent entspricht. Dies ist der höchste Wert seit 2019 und liegt ebenfalls über dem deutschlandweiten Durchschnitt von 48 Prozent. Die Entwicklung unterstreicht Berlins Bedeutung als bevorzugter Zielort für internationales Kapital, dem weiterhin beste Wachstumsperspektiven bescheinigt werden. Auf Verkäuferseite ergriffen nationale Investoren mit einem Marktanteil von 60 Prozent mehr Verkaufschancen als Internationale.

Die Offenen Immoblilienfonds und Spezialfonds erwiesen sich mit den Asset- und Fondsmanagern wiederholt als aktivste Einkäufer, die mit zusammen 2,1 Mrd. Euro die Hälfte des Transaktionsvolumens tätigten. Pensionskassen landeten  mit 750 Mio. Euro auf Platz 3. Auf der Verkäuferseite lagen die Projektentwickler mit 21 Prozent und 880 Mio. Euro knapp vor den Asset- und Fondsmanagern mit 20 Prozent sowie 820 Mio. Euro. Corporates und Eigennutzer verkauften überdurchschnittlich viele Objekte und schoben sich mit 520 Mio. Euro auf den dritten Platz vor.

Ausblick 2022: Lebhafteres Transaktionsgeschehen nach dem Sommer erwartet

Kemal Zeyveli MRICS, Regional Manager bei Colliers in Berlin: „Der Berliner Investmentmarkt ist mit einer Dealpipeline auf Rekordniveau in das Quartal gestartet, die durch die Marktentwicklung der vergangenen Monate temporär ausgebremst wurde. Wir erwarten über die Sommermonate eine zunehmende Klarheit bei der Preisfindung, sodass wir für den Herbst mit intensiven Verhandlungen rechnen. Schließlich verfügen viele Investoren weiterhin über sehr viel ‚dry powder‘, das mit Berlin und seinem überaus stabilen Bürovermietungsmarkt eines der attraktivsten Investment-Ziele in Europa vorfindet. Wie hoch das Jahresendergebnis 2022 letztlich ausfällt, wird davon abhängen, wie schnell sich die Kaufpreiserwartungen von Verkäufern und Käufern einander anpassen. Sofern weitere exogene Schocks ausbleiben, sehen wir das Transaktionsvolumen für 2022 auf Kurs von über 10 Mrd. Euro.“